Newsletter Dezember 2025
Liebe Leserinnen und Leser!
Im heranbrechenden Winter wollen wir Sie mit folgendem Lesestoff versorgen...
A) Neues von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP):
Im kürzlich erschienenen Memorandum der ICRP „Essentials of the system of radiological protection“ (Werner Rühm et al 2025 J. Radiol. Prot. 45 033002) werden die Grundsätze des weltweit maßgeblichen Systems des Strahlenschutzes der ICRP griffig zusammengefasst. Auf den drei Grundpfeilern Wissenschaft, Ethik und Erfahrung basieren die drei Grundprinzipien Rechtfertigung der Anwendung ionisierender Strahlen, Optimierung des Strahlenschutzes und Anwendung von Dosisgrenzwerten. Relevante Konkretisierungen und Limitationen dieser drei Grundprinzipien sind diesem kurzen, dreiseitigen Artikel leicht zu entnehmen. Ein weiteres wesentliches Fundament stellt die praktische Anwendung des „linear-no-threshold (LNT)“-Modells dar, dessen Gültigkeit für den praktischen Strahlenschutz die ICRP als unbestreitbar ansieht, auch wenn dabei gewisse Unschärfen und Unsicherheiten in Kauf genommen werden. Die ICRP verweist auf die Vielzahl großer epidemiologischer Studien über die medizinische Strahlenanwendung, die in den letzten Jahren die Gültigkeit des LNT-Modells bewiesen haben.
In dieser Hinsicht wurde eine neue Studie im Oktober publiziert:
B) Smith-Bindman R, et al.: Medical Imaging and Pediatric and Adolescent Hematologic Cancer Risk. N Engl J Med. 2025 Oct 2;393(13):1269-1278.
Diese retrospektive Kohortenstudie beobachtete 3,72 Millionen Kinder, die zwischen 1996 and 2016 in sechs Staaten der USA sowie in Ontario, Kanada geboren wurden. Sie wurden bis zu ihrem 21. Geburtstag, bzw. bis zum 31.12.2017 oder aber bis zum ersten Auftreten einer benignen oder malignen Krebserkrankung, Tod oder anderweitigem Austritt aus dem jeweiligen Gesundheitssystem nachverfolgt.
Es wurde die Knochenmarksdosis durch alle Untersuchungen mit ionisierenden Strahlen abgeschätzt, denen diese Kinder in der durchschnittlich 10,1 Jahre dauernden Beobachtungszeit unterzogen wurden. Die Häufigkeit des Auftretens hämatologischer Krebserkrankungen wurde mit der kumulativen Knochenmarksdosis korreliert. Eine Knochenmarksdosis von 15-30 mGy (entsprechend etwa zwei Schädel-CT-Untersuchungen) war mit einem 1,8 fachen höheren Risiko für hämatologische Krebserkrankungen assoziiert, bei einer Knochenmarksdosis zwischen 50-100 mGy stieg dieses Risiko auf den Faktor 3,6 an. Insgesamt wurde geschätzt, dass 10,1% der hämatologischen Krebserkrankungen in dieser Kohorte auf bildgebende Untersuchungen mit ionisierenden Strahlen zurückzuführen waren.
Diese Studie fügt ist quasi eine Folgestudie der im April publizierten und viel diskutierten Abschätzung des strahleninduzierten Anteils durch CT-Untersuchungen in den USA, der sich auf etwa 5% belaufen soll (Smith-Bindman R, et al.: Projected Lifetime Cancer Risks From Current Computed Tomography Imaging, JAMA Intern Med. 2025 Apr 14). Eine Diskussion letzterer Studie ist im VMSÖ Newsletter vom Mai dieses Jahres zu finden.
C) Dass die Diskussion über einen möglichst sinnvollen Einsatz der CT aktueller denn je ist, zeigt eine andere, eben publizierte Studie:
Dylla L, et al.: Trends in Head CT Use in US Emergency Department Patients From 2007 to 2022: A Nationwide Analysis. Neurology. 2025 Dec 23;105(12):e214347.
Von 2007 bis 2022 hat sich die Zahl der cranialen Computertomographie (CCT) an Notfallambulanzen in den USA von 7.8 Millionen auf knapp 16 Millionen mehr als verdoppelt. 2007 wurde bei 6.7% der Notfallambulanzbesuchen eine CCT durchgeführt, 2022 bei 10.3%. Angesichts dieser Zahlen regen die Autor:innen an, den tatsächlichen Informationszuwachs durch diese vermehrten Untersuchungen im Vergleich zu deren Risken und Kosten zu verifizieren.
Die tägliche Praxis zeigt, dass diese amerikanische Studie durchaus auch für europäische bzw. österreichische Verhältnisse relevant ist. Nationale und internationale Leitlinien, die bei Schädeltraumata bei allen Patient:innen eine CCT empfehlen, welche unter irgendeiner Form der Antikoagulation stehen bzw. durch Demenz oder Alkoholisierung klinisch erschwert beurteilbar sind, werden sehr weitreichend interpretiert und völlig unabhängig vom sonstigen klinischen Zustand oder der Schwere des Schädeltraumas angefordert ,was nur in einem verschwindenden kleinen Anteil zu tatsächlich relevanten Befunden führt. Dies wird u.a. auch deshalb durchgeführt, um die Patient:innen schneller aus den Notfallambulanzen entlassen zu können anstatt sie länger zu überwachen. Dadurch sammeln manche Patient:innen, insbesondere solche aus prekären sozialen Verhältnissen oder mit einer demenziellen Erkrankung innerhalb mehrerer Monate bzw. weniger Jahre zu einer zwei- bis dreistelligen Zahl an Schädel-CTs, mit Augenlinsendosen, die zu einem Kataraktrisiko führen. Die Frage muss erlaubt sein, ob dies tatsächlich jene Form der Fürsorge ist, die wir uns in unserem Gesundheitssystem oder für uns selbst bzw. unsere Angehörigen wünschen.
D) Neufassung der österreichischen Dosisreferenzwerte für die Kinderradiologie:
Am 24.11. fand bei der Gesundheit Österreich GmbH ein Treffen der Arbeitsgruppe zur Aktualisierung der österreichischen Strahlendosis-Referenzwerte für die Kinderradiologie statt. In dieser AG in verschiedenen Funktionen vertreten sind die VMSÖ-Vorstandsmitglieder Azadeh Hojreh, Thomas Mader und Gerald Pärtan. Unter der Leitung von David Wachabeuer präsentierte die GÖG die Daten, welche während der etwa einjährigen Erfassungsphase aus ganz Österreich (weitaus überwiegend aus dem Spitalsbereich, vereinzelt auch aus dem niedergelassenen Bereich) eingelangt sind und beschloss im Konsens, welche davon für neue Referenzwerte geeignet sind. Es finden sich einzelne Referenzwerte, welche im internationalen Vergleich erstmals festgelegt werden konnten, allerdings war die Datenlage für manche Untersuchungen zu dünn, sodass für sie (noch) kein Referenzwert festgelegt werden konnten. In den nächsten Wochen und Monaten wird die Auswertung an die teilnehmenden Institutionen gesendet und die aktualisierten Referenzwerte in einer Novelle der Medizinischen Strahlenschutzverordnung veröffentlicht.
Bei diesem Treffen konnten bzw. mussten wir uns vom bisher für den Strahlenschutz zuständigen Referenten im Gesundheitsministerium, Herrn Ministerialrat Mag. Manfred Ditto verabschieden, der ab Dezember altersbedingt in den Ruhestand getreten ist. Wir bedanken uns sehr herzlich für die langen Jahre der immer sehr angenehmen, korrekten und konstruktiven Zusammenarbeit und wünschen viele weitere aktive, sportliche und insbesondere gesunde Jahre!
E) Veranstaltungshinweise:
- VMSÖ-Kurs zum/zur MR-Sicherheitsbeauftragten (nur mehr Restplätze vorhanden):
19.-20. März 2026, Jugendstilhörsaal der Fortbildungsakademie, Spitalgasse 23, 1090 Wien.
Teilnahmegebühr für VMSÖ-Mitglieder: EUR 450,00, für NICHT-VMSÖ-Mitglieder: EUR 550,00 - Näheres zur VMSÖ-Jahrestagung im Herbst 2026 folgt in Kürze.
Herzlichst, mit den besten Wünschen für Weihnachten und das neue Jahr,
Elke Dimou & Gerald Pärtan